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Wenn Strategien nicht mehr greifen
Sie kennen den Spruch „der Mensch ist ein Gewohnheits-Tier“? Das stimmt, denn auch in Zeiten der Veränderungen versuchen wir im ersten Schritt, mit den uns bekannten Strategien zu agieren. Wir vertrauen auf „das was bisher funktioniert hat“ und machen im Zweifelsfalle noch etwas mehr davon. Wir flüchten uns in immer kürzeren Abständen in ein weiteres Change-Projekt, obwohl wir eigentlich erkennen müssten, dass sich seit dem letzten Change-Projekt nicht wirklich etwas NACHHALTIG verändert hat. Wir schalten noch öfters Stellenanzeigen, jetzt auch auf Stepstone und mit Hilfe von Ingrid, sorry Indeed. Führungskräfte ziehen immer größere Karren durch den Sand und beim Blick zurück merken sie, dass immer weniger Mitarbeiter sich noch in „der Spur“ befinden und sich geistig oder vielleicht auch schon physisch verabschiedet haben. Wir hecheln also irgendwie immer hinterher und versuchen uns mit noch etwas mehr Anstrengung, noch ausgefeilteren Zielkarten, noch einer Vertriebskampagne mehr und noch bunteren Blättern oder dem Re-Launch unserer Webseite im Wandel zu behaupten. So manch einer fragt sich dann irgendwann nach dem Sinn oder der Perspektive und bekommt die Antwort erst beim ersten Burnout oder nie.
Aber warum tun wir nicht endlich ETWAS GANZ NEUES, etwas, das uns selbst und unsere Mitarbeiter und Firmen wirklich einen Schritt nach vorne bringt? Was treibt die Entscheider in den Firmen und uns selbst an, „vom Gleichen immer das gleiche, nur noch mehr“ zu tun? Warum tun wir uns überhaupt so schwer manche Entscheidung zu treffen?
Warum tun wir uns so schwer?
Der Grund ist so simpel, wie man(n)cher ihn auch vehement verneint. Und vielleicht werden auch Sie beim Lesen der nächsten Zeilen empört auf das Kreuz oben rechts in Ihrem Browser klicken und sagen „Ich doch nicht“! Der Grund, warum wir nicht wirklich etwas Neues in unserem Leben, für unsere Mitarbeiter und Firmen wagen ist:
DIE ANGST!
Die Angst hindert uns wegen vermeintlicher kurzfristiger Erfolge langfristig auf eine ganz neue Strategie zu setzen und uns einer wirklichen, weil nachhaltigen Veränderung auszusetzen.
In seinem Buch „Biologie der Angst – wie aus Stress Gefühle werden“ (1) beschreibt Dr. Gerald Hüther, einer der herausragenden Neurobiologen und Hirnforscher in Deutschland, die Wirkweise von Veränderung, Stress und Angst.
Danke übrigens, dass Sie an dieser Stelle noch dabei sind, und doch nicht ausgestiegen sind! Vielleicht ergibt sich ja aus den nachfolgenden Zeilen für Sie ein ganz neuer Impuls, wie sie mit Anderen (und sich selbst) in Zukunft bei Veränderungen umgehen. Besonders dann, wenn es dabei zu „ungewünschten Reaktionen“ kommt.
Angst - Eigentlich eine gute Erfindung...
Angst ist in unserer Gesellschaft leider sehr negativ besetzt. Mit etwas Abstand erkennt man Angst als ein „Notfallprogramm“ das sich die Evolution einfallen hat lassen, damit die Nachfolger der Dinos (also auch wir) besser gegen plötzlich auftretende gravierende Veränderungen der Lebenswelt geschützt sind. Ein komplexes System von Hormonen, Organen und Interaktionen führt dazu, dass bei Notfall-Situationen und gravierenden Veränderungen und Herausforderungen, oder die wir als solche interpretieren, ganz schnell die Alarmglocken (ganz leise oder sehr laut) läuten, bis dahin, dass vielleicht sogar ganz schnell „in unserem Gehirn der Teufel los ist“ (Zitat Gerald Hüther) im Sinne einer „unkontrollierten Stressreaktion“! Vor 10.000 Jahren hatten sich, falls es z. B. zur Begegnung mit einem Säbelzahntiger kam nur drei Reaktionsmuster angeboten: FLUCHT, ANGRIFF oder TOTSTELLEN! Heutzutage wird dieser Modus vielleicht beim ersten Tag im Kindergarten, der Mathe-Schulaufgabe, beim monatlichen „Performance-Dialog“ mit dem Chef oder durch das angekündigte Change-Projekt in unserer Firma ausgelöst. Spannend dabei: schon die ERWARTUNG einer solchen Situation führt, ohne dass sie selbst bereits eingetreten ist, zu einer entsprechenden Stress-Reaktion!(2) Und vielleicht sehen sie jetzt beim Lesen dieser Zeilen Menschen in Ihrer Umgebung ganz neu in Situationen der Veränderung…
Normale Herausforderung oder Dauerstress?
Die Frage, ob WIR SELBST Veränderungen ganz allgemein oder eine spezifische Veränderung, neue Aufgaben oder Situationen eher als normale Herausforderung, die wir mit unseren vorhandenen Fähigkeiten irgendwie hinbekommen, oder als „unkontrollierbare Stressreaktion“ interpretieren, hängt ganz davon ab, wie wir damit in unseren Kindertagen in Berührung gekommen sind. Haben uns Menschen begleitet, für die Veränderungen die natürlichste Sache der Welt waren, und die mit großem Vertrauen und Gelassenheit reagierten im Sinne einer normalen Herausforderung, und uns damit ein großes Stück Sicherheit gegeben haben? Konnten wir uns dadurch Haltungs- und Handlungsmuster abschauen, die uns heute in schwierigen Situationen helfen? Oder waren wir von einem Menschen (oder mehreren) umgeben, der wenn sich Abläufe, Beziehungen und Verhältnisse geändert haben, sofort in eine unkontrollierte Stressreaktion geraten ist, und damit sich selbst und auch die Menschen in seinem Umfeld in große Verunsicherung gebracht hat? Das Einzige, was wir uns von diesen Menschen abschauen konnten waren vielleicht Muster, wie Enttäuschung, Resignation, Hilflosigkeit, Ohnmacht oder sogar Wut! Sie erinnern sich: FLUCHT, ANGRIFF und TOTSTELLEN.
Ob wir Veränderungen, Situationen und Aufgaben als normale Herausforderung sehen oder ob wir uns dabei vielleicht sogar im Dauerstress befinden, haben wir uns also nicht selbst herausgesucht. Unsere Reaktions-Programme wurden ziemlich früh in unserem Leben installiert und sie laufen sehr unbewusst ab. Und das Anfangsgefühl ist in BEIDEN oben genannten Fällen ist immer ANGST (3)!
Vor was haben wir eigentlich Angst?
Nur vor WAS haben wir eigentlich Angst, wenn wir uns Veränderungen und neuen Aufgaben und Situationen stellen müssen? Säbelzahntiger gibt es ja nicht mehr...
Die „einfache“ Wahrheit ist: wir haben Angst, dass wir scheitern, dass uns dieses Scheitern als Versagen ausgelegt wird.
Und als Primär-Angst steckt dahinter, dass wir abgelehnt werden und dass wir dadurch unseren Status, unsere Macht, Ressourcen und unseren Einfluss und damit die Anerkennung einbüßen.
Und wir haben Angst, dass wir damit unseren Rang oder sogar unseren Platz, unsere Zugehörigkeit in unserer Gemeinschaft verlieren. Das war vor 10.000 Jahren genau so existenzbedrohend, wie die Begegnung mit einem Säbelzahntiger. Und diese Ur-Angst steckt noch immer in uns Menschen!
Fazit: sollten Sie in Ihrer Firma, in Ihrem Team oder bei sich selbst eine große Veränderung planen, dann können Sie sich so manche vielleicht gut gemeinte Maßnahme oder Vorgehensweise sparen, die nur an der Oberfläche bzw. auf Basis von Know-how oder Prozessen agiert, aber in der Tiefe die Menschen nicht abholt mit Ihren Erfahrungen, Bedenken und Ängsten.
Und: wenn Ihr Gegenüber eine Veränderung oder eine bestimmte Herausforderung nicht angeht, dann geht es eher nicht um "nicht wollen" sonder eher um "nicht können"!
Was ist die Alternative?
Ganz einfach: das Gegenkonzept zur Angst ist VERTRAUEN! Aus vielen Erfahrungen mit meinen Klienten habe ich immer wieder die Erfahrung gemacht, dass Vertrauen das Fundament für Veränderungen und Beziehungen ist. Es lohnt sich hinzusehen, wie ich selbst aufgestellt bin beim Thema Vertrauen. Wie viel Vertrauen brauche ich von Anderen? Wie viel bin ich bereit Vertrauen zu geben? Wichtig: Vertrauen hat kein "wenn und aber". Vertrauen wird auf Basis von Vorschuss bezahlt. Ich erinnere mich an das Gespräch eines Klienten mit seiner neuen Führungskraft, die meinte "Ja Herr X., sie müssen sich einfach mein Vertrauen noch etwas verdienen!" Es ist klar wer hier spricht: es ist die Angst! Ja, Vertrauen kann auch manchmal mißbraucht werden! Vertrauen muss immer im Kontext gesehen werden. Und: Naivität und Fahrlässigkeit sind keine Geschwister von Vertrauen.
Wussten Sie eigentlich, dass es zum Thema Vertrauen ganz offizielle Studien gibt? Klingt spannend! Ist spannend!
Mehr dazu lesen Sie in Kürze im nächsten Blogartikel!
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Herzlichst und bis bald Ihr
Andreas Kübler
Dipl. systemischer Coach & Berater (CTAS/ISO/ICI)
(1) Gerald Hüther: „Biologie der Angst – wie aus Stress Gefühle werden“, ISBN 978-3-525-01439-4 (2) s. oben, S. 30 (3) s. oben, S.39
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